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Im Kodex des kanonischen Rechts geht es auch um den Verstoß eines Klerikers gegen das sechste Gebot – Straftat an einem Minderjährigen.
Wege aus der Defensive gesucht
Von: Ludwig Ring-Eifel | 23. September 2018
Der dunkle Schatten des sexuellen Missbrauchs holt die Kirche erneut ein – nicht nur in Deutschland.
In mehreren US-Bundesstaaten ermittelt die Justiz wegen Tausender früherer Fälle von sexuellem Missbrauch Geistlicher an Minderjährigen. In Australien steht der vatikanische Finanzminister, Kardinal George Pell, wegen Missbrauchsverdachts vor Gericht. In Rom muss sich Papst Franziskus mit dem Vorwurf auseinandersetzen, er habe den amerikanischen Kardinal Theodore McCarrick gedeckt, obwohl er gewusst habe, dass dieser einst Dutzende Seminaristen sexuell bedrängt hatte.
Und in Deutschland sickern Zahlen aus einer wissenschaftlichen Studie der Bischöfe durch. Demnach wurden seit 1946 mehr als vier Prozent der katholischen Geistlichen in Deutschland mit Missbrauch in Verbindung gebracht.
Die Reihe ließe sich fortsetzen: Irland und Chile schienen in den vergangenen Jahren geradezu epidemisch betroffen, in anderen Ländern halten sich Medien und Justiz (noch) zurück. Doch ihre lange Präsenz und ihre weltweite Struktur sorgen dafür, dass alle Zahlen bei der katholischen Kirche enorm groß erscheinen – auch die der Verbrechen in ihren eigenen Reihen.
Zudem ist sie deshalb besonders anfällig, weil der Umgang unverheirateter Männer mit Kindern und Jugendlichen in Schulen, Internaten und Kirchengemeinden quasi zu ihrem Kerngeschäft gehört.
Frage nach Verantwortung der Oberen
Die Schilderung der nicht selten akribisch geplanten Übergriffe ruft stets von Neuem Entsetzen, Abscheu und Ekel hervor. Hinzu tritt immer häufiger die Frage nach der Verantwortlichkeit der Oberen. Es geht um Wegsehen, Vertuschen, Aktenvernichtung und Förderung des Verbrechens durch Versetzung der Täter. Ins Visier geraten auch frühere Personalchefs und Generalvikare, Bischöfe und Kardinäle bis hin zu den höchsten Verantwortlichen im Vatikan.
Papst Franziskus sprach in einem etwas hilflos wirkenden biblischen Vergleich vom Satan als „dem großen Ankläger“, der versuche, das gläubige Volk aufzuhetzen.
Sicher war das nicht als Plädoyer gegen die Aufklärung der Straftaten gedacht, sondern eher als Appell zur Einigkeit. Doch durch das Schweigen über sein eigenes Verhalten in der Affäre McCarrick und durch eingestandene Fehler im Umgang mit der chilenischen Missbrauchskrise ist Franziskus in die Defensive geraten.
Der von ihm geleitete Kardinalsrat „K9“ zur Reform des Vatikan-Apparats sah sich jetzt veranlasst, dem Papst öffentlich den Rücken zu stärken. Ähnlich wie vor eineinhalb Jahren, als sie den Papst gegen die Kritik konservativer Kardinäle an seiner eher liberalen Ehe- und Scheidungslehre in Schutz nahmen, gaben die in Rom versammelten Ratgeber ihm auch diesmal Rückendeckung. Gleich zweimal in drei Tagen bekundeten sie ihm „ihre volle Solidarität“.
Thema auf nationale Konferenzen verlagern
Mit diesem Schritt kommt der Papst einer Forderung konservativer Bischöfe aus den USA entgegen. Sie hatten vorgeschlagen, die im Herbst im Vatikan geplante Jugendsynode abzusagen und stattdessen eine Sondersynode zum Thema Missbrauch einzuberufen. Etwas Ähnliches tut der Papst nun. Angesichts eines Problems, das er weder durch persönliches Charisma noch durch prägnant formulierte Interviews lösen kann, greift Franziskus auf eine seiner bekannten Reformideen zurück: Er will das Thema auf die Ebene der nationalen Bischofskonferenzen verlagern.
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